Samstag, 15. Dezember 2012

Mutter hatte ihren Deutschlehrer lieb. Daran, wie er Goethe las, erinnert sie sich ganz genau.


Auf dem See
Und frische Nahrung, neues Blut
Saug' ich aus freier Welt;
Wie ist Natur so hold und gut,
Die mich am Busen hält!
Die Welle wieget unsern Kahn
Im Rudertakt hinauf,
Und Berge, wolkig, himmelan,
Begegnen unserm Lauf.

Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?

Hier machte er eine Pause (Mutter war wohl grad 15 und hatte von einem zwei Jahre älteren Burschen, der später Anwalt wurde, ihren ersten Kuss bekommen. Als sie zum Vertiefen des Verfahrens vor die Tür gingen, kam der Lehrer dazu und bat sie rein. Das ließe sich auch drin tun, es sei drinnen wärmer.) und die Theile legt Cro auf.

Weg, du Traum! so gold du bist;
Hier auch Lieb' und Leben ist.

Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne ;
Weiche Nebel trinken
Rings die türmende Ferne;
Morgenwind umflügelt
Die beschattete Bucht,
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht.


Meeresstille und glückliche Fahrt
Meeresstille
Tiefe stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sich der Schiffer
Glatte Fläche rings umher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuren Weite
Reget keine Welle sich.

Glückliche Fahrt
Die Nebel zerreißen,
Der Himmel ist helle,
Und Äolus löset
Das ängstliche Band.
Es säuseln die Winde,
Es rührt sich der Schiffer.
Geschwinde! Geschwinde!
Es teilt sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
Schon seh' ich das Land!


Goethe mochte die Wilemer so gern, dass er ihr ein Gingko-Blatt schenkte:
Gingo Biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut,

Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt?

Solche Frage zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich Eins und doppelt bin?

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